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Steuerlicher Unterbietungswettbewerb schadet der Standortattraktivität Westeuropas

Steuerlicher Unterbietungswettbewerb schadet der Standortattraktivität Westeuropas Posted on 5. Januar 2022
In einer globalisierten und digitalisierten Wirtschaft steigt die Mobilität von Kapital und Arbeit, was den Steuerwettbewerb weltweit fördert – ein steuerlicher Unterbietungswettbewerb bei der Körperschaftsteuer ist bis heute zu beobachten. Entgegen diesem Trend stagniert die effektive Einkommensteuerbelastung eines hoch qualifizierten Arbeitnehmers (Nettoeinkommen 100.000 EUR) erkennbar, begleitet von einem teilweisen Anstieg der Spitzensteuersätze – ähnlich einer Vermögensabgabe für Spitzenverdiener. In der Zukunft könnte allerdings die Besteuerung von hochqualifizierten, mobilen Arbeitskräften aufgrund des enormen Digitalisierungsschubs durch die Corona-Pandemie an Bedeutung gewinnen. Dies sind zentrale Ergebnisse einer Studie des ZEW Mannheim gemeinsam mit der Universität Mannheim und der Universität Kiel. Um die Attraktivität des Steuerstandortes für international agierende Unternehmen zu untersuchen, haben die Wissenschaftler/innen neben der Entwicklung der Unternehmenssteuern, auch das steuerliche Umfeld für hochqualifizierte Arbeitnehmer/innen für 26 OECD-Staaten innerhalb des letzten Jahrzehnts näher beleuchtet. „Die effektive Steuerbelastung von Unternehmensinvestitionen befindet sich weiter in einem Abwärtstrend“, sagt Christoph Spengel, Forschungsprofessor am ZEW. Zwischen den untersuchten Ländern gibt es gravierende Unterschiede. In Frankreich etwa liegt die effektive Steuerlast der Unternehmen bei 34,7 Prozent – europaweiter Spitzenwert 2019. Im Vergleich dazu liegt Deutschland mit fast 29 Prozent auf Platz drei unter den betrachteten EU-Mitgliedsländern. „Insgesamt ist zu beobachten, dass sich der Abwärtstrend und der damit einhergehende Steuerwettbewerb bei Unternehmensinvestitionen in den letzten Jahren verlangsamt hat“, so Spengel.  

Auch hochqualifizierte Arbeitskräfte reagieren auf steuerliche Anreize mit innerstaatlicher und grenzüberschreitender Migration. So schlägt sich eine erhöhte Abgabenlast für hochqualifizierte Arbeitskräfte indirekt bei den Arbeitgebern nieder. Länder, die überdurchschnittlich hohe Abgaben auf hochqualifizierte Arbeit erheben, werden damit auch für Unternehmen unattraktiv, die hochqualifizierte Arbeitskräfte beschäftigen. Dass diese Unterschiede immens sein können, erklärt ZEW-Wissenschaftlerin Daniela Steinbrenner an einem Beispiel-Arbeitnehmer, der unverheiratet und kinderlos ist und ein verfügbares Einkommen von 100.000 Euro nach Steuern und Abgaben verlangt: „Im Jahr 2019 erhob Russland einen effektiven Steuersatz auf hochqualifizierte Arbeitskräfte von 16,3 Prozent, während dieser in Belgien bei 59,5 Prozent lag. Mit anderen Worten: Arbeitgeber in Russland mussten im Jahr 2019 119.474 Euro aufwenden, während die belgischen Arbeitgeber mit 246.914 Euro mehr als das Doppelte zahlten, um das gleiche verfügbare Einkommen zu gewähren“, so Steinbrenner. Wichtige Triebkräfte für die Unterschiede in der Steuerbelastung sind zum einen der gesetzliche Einkommensteuersatz und zum anderen die Sozialversicherungssätze in den einzelnen Ländern. Insgesamt konnten die ZEW-Wissenschaftler/Innen beobachten, dass die durchschnittliche effektive Steuerbelastung des Faktors hochqualifizierte Arbeit, in den letzten Jahren eher konstant blieb.

Bei der Kombination beider Faktoren zeigen sich vier klare Strategien

Um die Gesamtattraktivität der Länder aus steuerlicher Sicht und deren Spielraum für zukünftigen Steuerwettbewerb zu analysieren, haben die Wissenschaftler/Innen beide Indikatoren – effektive Durchschnittssteuerbelastung von Unternehmen und hochqualifizierten Arbeitnehmern – kombiniert. Nach wie vor zeigt sich für beide Indikatoren eine große Streuung zwischen den Ländern. Die erheblichen regionalen Unterschiede haben das Potenzial, die geografische Verteilung von (innovativen) Unternehmen und hochqualifizierten Arbeitskräften erheblich zu beeinflussen, insbesondere in einer integrierten Region wie der Europäischen Union. Insgesamt ließen sich zwischen den 26 untersuchten OECD-Staaten vier Steuerstrategien erkennen: Die betrachteten östliche EU-Mitgliedsländer verfolgen eine klassische Niedrigsteuerpolitik – Russland und die Schweiz fallen ebenso in diese Kategorie. Belgien, Frankreich, Italien und Spanien weisen hingegen eine überdurchschnittlich hohe effektive Steuerbelastung für Unternehmen und hochqualifizierte Arbeitskräfte auf. Die betrachteten nördliche EU-Mitgliedstaaten sowie Irland und Slowenien zeichnen sich durch eine unterdurchschnittliche effektive Durchschnittssteuerbelastung mobiler Kapitaleinkommen aus, während der Faktor hochqualifizierte Arbeit dort überdurchschnittlich besteuert wird. Bei der vierten Strategie, die etwa in Indien, Japan und den USA wiederzufinden ist, kehrt sich die Steuerbelastung der beiden Indikatoren um: Kapitalgesellschaften werden über- und hochqualifizierte Arbeitnehmer unterdurchschnittlich besteuert. Leonie Fischer, Mitautorin der Studie, folgert daraus für die mittleren und westlichen EU-Länder einen hohen Wettbewerbsdruck: „Um bei der Standortattraktivität nicht den Anschluss zu verlieren, müssen insbesondere Länder wie Frankreich, Italien und Deutschland die Abgabenlast verringern.“ Deutschland hat es in den letzten Jahren verpasst, große Steuerreformen voranzutreiben und so an Attraktivität für Investitionen in Kapital und Arbeit verloren.

Pandemiebedingte Haushaltslücken und die globale Mindeststeuer könnten die Entwicklung ausbremsen

„Es bleibt abzuwarten, ob der Unterbietungswettbewerb bei der Körperschaftssteuer anhalten wird“, sagt Fischer. Die Pandemie lässt es auf jeden Fall weniger wahrscheinlich werden, dass der Wettlauf nach unten in naher Zukunft weitergehe. Ferner bleibt laut Fischer abzuwarten, inwiefern der von den OECD-Staaten vor kurzem beschlossene globale Mindeststeuersatz von 15 Prozent, es internationalen Konzernen schwerer machen wird, ihre Gewinne in Steueroasen zu verschieben. Die konkreten Auswirkungen der Mindeststeuer ließen sich aktuell allerdings noch nicht abschließend beurteilen. „Vor dem Hintergrund zunehmender Restriktionen für die Steuerplanung von Unternehmen und dem Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft könnte die Besteuerung des Faktors Arbeit in Sachen Steuerwettbewerb zukünftig an Bedeutung gewinnen“, so Fischer. Bereits heute greifen einige EU-Länder, insbesondere solche mit einer überdurchschnittlichen Arbeitnehmerbesteuerung, auf Steuervergünstigungen für hochqualifizierte ausländische Arbeitskräfte zurück, um ihr Standortattraktivität bei der Anwerbung international mobiler Fach- und Führungskräften zu erhöhen. Die Einführung solcher Anreize kann jedoch zu einem Steuerwettbewerb zwischen den EU-Ländern führen.

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Über ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim

Das ZEW in Mannheim forscht im Bereich der angewandten und politikorientierten Wirtschaftswissenschaften und stellt der nationalen und internationalen Forschung bedeutende Datensätze zur Verfügung. Das Institut unterstützt durch fundierte Beratung Politik, Unternehmen und Verwaltung auf nationaler und europäischer Ebene bei der Bewältigung wirtschaftspolitischer Herausforderungen. Zentrale Forschungsfrage des ZEW ist, wie Märkte und Institutionen gestaltet sein müssen, um eine nachhaltige und effiziente wirtschaftliche Entwicklung der wissensbasierten europäischen Volkswirtschaften zu ermöglichen. Durch gezielten Wissenstransfer und Weiterbildung begleitet das ZEW wirtschaftliche Veränderungsprozesse. Das ZEW wurde 1991 gegründet. Es ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Derzeit arbeiten am ZEW Mannheim rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen rund zwei Drittel wissenschaftlich tätig sind.

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