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Wirecard: Mussten Banken ihre Kunden über Pressevorwürfe aufklären?

Wirecard: Mussten Banken ihre Kunden über Pressevorwürfe aufklären? Posted on 11. Mai 2021

Dass bei Wirecard über einen langen Zeitraum kriminelle Methoden angewandt wurden, darüber herrschen kaum noch Zweifel. Während das ehemalige DAX-Unternehmen in die Insolvenz geriet und Aktionäre viele Milliarden Euro verloren, blieben nur leere Konten und ein verschwundenes Vorstandsmitglied mit internationalem Haftbefehl.

Bilanzfälschung im großen Stil – so der Vorwurf. Fraglich ist, warum die Wirecard-Wirtschaftsprüfer Ernst & Young oder auch die staatliche Finanzaufsicht BaFin nicht eingriffen. Ließen sie sich täuschen oder überhörten sie die Alarmsignale?  

In anderer Verantwortung stehen dagegen manche Banken. Ihnen kann mitunter Falschberatung vorgeworfen werden, wenn sie  ihren Kunden Wirecard-Derivate zum Kauf empfahlen, obwohl es lautstarke Zweifel an dem Geschäftserfolg von Wirecard gab. Lautstarke und wiederholt veröffentliche Zweifel.

Seit 2015 –  also bereits fünf Jahre bevor das Kartenhaus zusammenbrach – hatte die internationale und nationale Wirtschaftspresse wiederholt über Ungereimtheiten und dubiose Geschäfts- und Bilanzierungspraktiken bei der Wirecard AG berichtet. Selbst Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden nach fundierten Recherchen schon früh offen ausgesprochen.

Vor allem die Artikelserie „House of Wirecards“ in der Financial Times ab Januar 2019, welche sehr ausführlich von der deutschen Wirtschaftspresse aufgegriffen wurde, löste wiederholt starke Kursstürze der Wirecard-Aktie aus. Die Vielzahl der fundierten Medienberichte konnte einem seriösen Anlageberater kaum entgangen sein. 

Zumal der BGH schon vor vielen Jahren entschied, dass das „Handelsblatt“, die „Börsenzeitung“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sowie die „Financial Times Deutschland“ zur Pflichtlektüre der Anlageberater gehören. Aber auch andere Medien wie das Manager Magazin, die Wirtschaftswoche, die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel veröffentlichten kritische Berichte, schrieben über Razzien, Vorwürfe der Bilanzfälschung und undurchsichtige Partnerfirmen.

Obwohl also schon seit einigen Jahren unter Verdacht, empfohlen einige Anlageberater Wirecard weiterhin als sinnvolle Anlage, ohne auf die Negativpresse hinzuweisen. 

Ein aktueller Fall

Am 25. Juni 2020 meldete Wirecard wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Insolvenz an, nachdem sie drei Tage zuvor per Ad-hoc-Meldung mitgeteilt hatte, dass 1,9 Milliarden Euro ihres Vermögens „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existieren“.

Wenige Monate zuvor –  März 2019 bis  Januar 2020 – erwarben unsere Mandanten, ein Ehepaar aus dem Erzgebirge, auf Empfehlung eines für die Erzgebirgssparkasse tätigen Anlageberaters 43 Deep-Express-Zertifikate der Landesbank Baden-Württemberg mit Bezug auf Aktien der Wirecard AG. In den Beratungsgesprächen hatte der Anlageberater weder über die umfangreiche und wiederholt negative Berichterstattung zur Wirecard AG in der nationalen und internationalen Wirtschaftspresse noch auf die wiederholten Kurseinbrüche hingewiesen. Nur im Nachgang zum allerersten Beratungsgespräch bekamen die Mandanten postalisch eine schriftliche Information der NordLB übersandt, in welcher die Berichterstattung der Financial Times zu möglichen Straftaten eines Wirecard-Mitarbeiters in Singapur erwähnt wurde. Diese Darstellung endete mit der Einschätzung, dass die NordLB die vehemente Zurückweisung der Vorwürfe durch den Vorstand von Wirecard für glaubwürdig hält. Die NordLB ging danach davon aus, dass sich der Aktienkurs nach endgültiger Klärung aller Vorwürfe schnell erholt und bewertete Wirecard mit dem Rating „Kaufen“.  Über die vielen weiteren Negativberichte ab März 2019 verlor der Berater demgegenüber kein Wort.

Durch die Ad-hoc-Meldung im Juni 2020 fiel der Börsenkurs um mehr als zwei Drittel. Dementsprechend erhielten die Kläger aus der Fälligstellung der Zertifikate am 06.07.2020 lediglich € 409,72 abzgl. Nebenkosten von € 150,00.

Insgesamt ist den Klägern somit ein Schaden in Höhe von insgesamt € 43.303,08 entstanden.

Fazit und Präzedenzverfahren:

Angesichts der umfassenden Berichterstattung in den Wirtschaftsmedien kann unserer Erachtens kein Zweifel daran bestehen, dass der Anlageberater verpflichtet war, die Kläger über die wiederholte Negativberichterstattung zu Wirecard und den daraus resultierenden teils heftigen Kursreaktionen zu informieren. Die beklagte Sparkasse wäre nach unserer Rechtsauffassung überdies auch dazu verpflichtet gewesen, die Kläger auf die im Raum stehenden und nicht abschließend widerlegten Vorwürfe der Bilanzfälschung hinzuweisen.

Diesem Vorwurf werden sich nach unserer Einschätzung zahlreiche Banken und Sparkassen stellen müssen, die ihren Kunden trotz der Presserecherchen und -berichte in 2019 und 2020 Finanzprodukte mit Bezug zur Wirecard AG empfahlen.

Dieses Klageverfahren vor dem Landgericht Chemnitz kann man demnach als eine Art Musterverfahren unter dem Stichwort „Schadensersatz wegen unterlassener Aufklärung über negative Presseberichterstattung“ betrachten.

Die mzs Rechtsanwälte vertreten als Fachkanzlei für Bank- und Kapitalmarktrecht zahlreiche Investoren, die als Folge der Wirecard-Insolvenz erhebliche Verluste erlitten haben.

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