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Topökonomen warnen vor Wirtschaftslockdown

Topökonomen warnen vor Wirtschaftslockdown Posted on 8. März 2021

Die Mutanten kommen. Sollte man die Industrie lahmlegen, um das Virus kleinzukriegen? Deutschlands führende Wirtschaftsforscher warnen vor schärferen Coronamaßnahmen. Das sei eine Lehre aus dem ersten Shutdown.                                                                           

Linkenpolitiker Ramelow fordert, Unternehmen vorübergehend stillzulegen, die nicht lebensnotwendig sind oder systemisch nicht abgestellt werden können. Und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach droht Industriebetrieben indirekt mit Produktionsstopps, sollte der Shutdown nicht erfolgreich zu Ende gebracht werden. Im Frühjahr hatten Spaniens und Italiens Regierungen ihre Wirtschaft mehrere Wochen lang lahmgelegt.

„Eine Zwangsschließung von Unternehmen würde nicht nur die unmittelbar betroffenen Unternehmen hart treffen, sondern könnte die Lieferketten unterbrechen und damit erhebliche Kosten für die gesamte Wirtschaft verursachen“, ist der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher überzeugt. „Würde man in einem großen Stil die Produktion lahmlegen, hätte das gravierende Folgen für die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr“, meint auch Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW).

Laut Sebastian Dullien, dem Wissenschaftlichen Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), hätte eine weitgehende Schließung angesichts der labilen Verfassung vieler Betriebe schwerwiegende Folgen: „Die Gefahr von Pleiten und Entlassungswellen wäre dann deutlich größer als im Frühjahr.“ Nach Berechnungen des IMK gingen zwei Drittel des Wirtschaftseinbruchs im ersten Halbjahr 2020 direkt auf Produktionsrückgänge im verarbeitenden Gewerbe zurück. „Die Industrieproduktion darf nicht kippen“, mahnte auch Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Die Wertschöpfung hier ist besonders hoch.“

Grenzen müssen offen bleiben

Dalia Marin, Professorin für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Technischen Universität München, sprach sich hingegen für eine Schließung von Fabriken und grenzüberschreitendem Güterverkehr aus: „Ein vollständiger Lockdown jetzt hätte den Vorteil, die Infektionszahlen exponentiell zu senken, bevor noch das mutierte Virus die Gelegenheit hat, sich zu verbreiten. Auch China konnte nur mit einem drakonischen Lockdown die Situation stabilisieren.“ Die Münchener Wirtschaftsweise Schnitzer hält derart drakonische Maßnahmen für überzogen. „Bisher können bei der eigentlichen Fertigung die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen durchaus eingehalten werden“, argumentiert sie. Problematischer seien Begegnungen in den Pausen, in der Kantine oder der Weg zur Arbeit. Deswegen müsse man aber nicht gleich ganze Fabriken schließen. Bei Schutzmaßnahmen wie dem Einbau von Filteranlagen, Fiebermessungen und vor allem der Einhaltung der Abstandsregeln sei noch „viel Luft nach oben“.

Besonders strikt lehnen fast alle Forscher innereuropäische Grenzschließungen für Warentransporte wie zu Beginn der ersten Corona-Welle im März 2020 ab. Angesichts der engen internationalen Verflechtung der Produktionsprozesse „würde eine Einschränkung des Güterverkehrs für viele Unternehmen einer Betriebsstilllegung gleichkommen“, sagt RWI-Konjunkturexperte Schmidt. Vom Güterverkehr gehe weniger Infektionsgefahr aus als vom Personenverkehr. „Die Aufrechterhaltung der Lieferketten ist wichtig“, argumentiert DIW-Chef Fratzscher, „damit auch die Grundbedürfnisse bei der Gesundheit, bei der Grundversorgung mit Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Lebens nach wie vor gewährleistet sind.“

Auch die Idee, den öffentlichen Personennahverkehr zu reduzieren oder ganz einzustellen, halten viele Ökonomen für kontraproduktiv. „Pfleger, Ärzte ebenso wie Beschäftigte im Supermarkt oder in der Lebensmittelproduktion und in anderen Versorgungsberufen kommen oft mit dem öffentlichen Personenverkehr zur Arbeit und könnten ohne diese Option ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen“, erklärt IMK-Direktor Dullien. Zudem würden Beschäftigte ohne eigenes Auto benachteiligt – vor allem dann, wenn sie kein sicheres Beschäftigungsverhältnis haben, ergänzt Schmidt vom RWI.

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