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Mit oder ohne – Am Feuerwerk scheiden sich die Geister

Mit oder ohne – Am Feuerwerk scheiden sich die Geister Posted on 27. Dezember 2019

Vielleicht kommt Ihnen das ja bekannt vor? Eigentlich liebe ich Feuerwerk – auch an Silvester. Aber seit einigen Jahren traue ich mich ab 18 Uhr kaum noch auf die Straße aus Angst, dass irgendetwas vor meinen Füßen oder höher detoniert. Auch habe ich durchaus Schuldgefühle, wenn ich mit Freude die bunten, fast professionell anmutenden Feuerwerke direkt vor meiner Haustür sehe und an Menschen denke, denen die darin verglühenden Investitionen in ihrer existentiellen Not helfen würden. Schön ist es aber eben doch.

Die laufenden Diskussionen um das Verbot von Silvesterknallern treffen daher in mir auf eine durchaus ambivalente, innere Gefühlswelt. Und so habe ich mal ein bisschen überlegt, was da eigentlich hinter diesem jährlichen Feuerzauber steckt und was Gründe für die Heftigkeit der Diskussionen um „Tun oder Lassen“ sein könnten.

Die traditionelle Sicht

Silvesterfeuerwerk hat die traditionelle Bedeutung, die bösen Geister zu vertreiben. In allen Zeiten haben Menschen Feuerrituale an Übergängen zelebriert, das alte verbrannt und versucht, das Dunkle durch Licht, Krach und Wärme zu vertreiben – offensichtlich ein grundlegendes menschliches Bedürfnis und irgendwie auch anheimelnd und faszinierend.

Egal, wo wir politisch, gesellschaftlich oder individuell stehen, ich denke, jedem von uns fallen „böse Geister“ ein, von denen wir gerne wenigstens einige vertreiben möchten. Wir haben Sorge, von Ihnen in die Irre geführt zu werden. Und wir haben Angst, durch sie unsere Traditionen oder Werte zu verlieren, wie auch immer die gestaltet sein mögen. In einer Zeit, die von großen und vielen Herausforderungen geprägt ist, kommen uns laute und weithin sichtbare Rituale da vielleicht entgegen, vor allem dann, wenn sie uns durch Schönheit und sinnfreien Spaß auch noch von unseren Sorgen ablenken. Eine mögliche Erklärung. Und ich habe noch eine zweite anzubieten.

Ein Rückblick

Als Kind habe ich Silvester bengalische Streichhölzer und Goldregen angezündet, manchmal auch ein paar Pfennigschwärmer. Als junge Frau habe ich dann Sonnen und wenige einfache Raketen abgebrannt, und ich habe mich sogar an Knallfrösche herangetraut. Die allerdings gingen und gehen immer noch an meine Grenze, Knallen UND Hüpfen empfinde ich durchaus als Abenteuer. Schon damals musste man ein bisschen aufpassen, dass nicht irgendetwas von oben geflogen kam, daher habe ich halt alte Klamotten getragen und nicht die schicke neue Jacke.

In den letzten Jahren wurde es dann allerdings ziemlich ungemütlich, ja und irgendwie auch ambivalent – so wie meine Gefühlswelt. Die Leuchtkörper wurden immer bombastischer. Inzwischen kann eigentlich jeder ein Feuerwerk machen, das es früher nur an öffentlichen Plätzen gab. Und die Knallkörper sind zu kleinen Bomben geworden, alte Jacken reichen da nicht mehr. Gerne werden sie auch gezielt auf Mensch und Tier geworfen, es scheint Spaß zu machen, andere zu erschrecken. Wirklich verletzen will dabei wohl niemand, nachdenken über Risiken scheinbar auch nicht. Und damit sich jeder all das leisten kann, wird das Zeug als billige Massenware aus Polen oder von noch weiter weg importiert, oft sogar jenseits unserer Sicherheitsstandards und nicht legal.

Die gesellschaftliche Perspektive

Wenn ich das hier so niederschreibe, finde ich meine zweite Erklärung etwas passender: Dieses Silvesterfeuerwerk ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Es beginnt mit unserem Streben nach höher. weiter, lauter, mehr. Dabei geht nach und nach die Rücksicht auf andere und die Natur verloren, Spaß und gutes Leben stehen im Vordergrund. Jeder soll sich das in unserer demokratisch-sozialen Gesellschaft leisten können, und so importieren wir Billigware, die nicht nur unter suspekten Umständen entsteht, sondern auch uns selbst und unsere Umwelt gefährdet. Ja, und dann gibt es natürlich auch Menschen, die sich all dem verweigern und sich zurückziehen, oft weil sie die vielen Reize einfach nicht aushalten. Sie richten sich idyllisch in einer knall-freien Zone ein und blenden diesen Teil der Realität zumindest temporär aus.

Handeln und damit aktiv etwas anderes gestalten, macht aber irgendwie keiner, weder auf gesellschaftlich-politischer noch auf individueller Basis und egal. Jedenfalls fällt mir keiner ein. Ein oft gehörtes Argument, es könnte ja unsere Freiheit einschränken. Ein paar Randgruppen, vorwiegend aus dem Naturumfeld, appellieren an unseren Verstand oder rufen nach der Politik, diesen Gruppen wird Verbotskultur oder zumindest übertriebenes Risikobewusstsein vorgeworfen. Ich vermute, viele von denen gehören zu der Gruppe, die sich oft frustriert oder von Reizen überlastet zurückzieht, manchmal leider auch mit erhobenem Zeigefinger, was für ein gestaltendes Handeln genauso wenig hilfreich ist, wie das Argument der Freiheit.

Zukunft geschehen lassen

Prognostiziere ich die Tendenz des Nicht-Handelns auf die nächsten Jahre und ziehe einen Vergleich zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und Silvesterfeuerwerk, wird mir ein wenig mulmig. Die dicken Böller halten bereits heute Feuerwehr und Notaufnahmen in Atem, es gibt Fremd- und Eigenverletzungen. Der Müll durch die Luxusfeuerwerke zeigt sich tagelang auf den Straßen, die Stadtreiniger führen einen einsamen Kampf dagegen. Trotzdem wird weitergemacht – ganz im Sinne der freien Spaßgesellschaft für jedermann. Erinnert fatal an den Tanz um das goldene Kalb und auch Kassandrarufe höre ich.

Zukunft gestalten

Wo aber anfangen? Was kann ich tun und wie komme ich ins gestaltende Handeln statt hier weiter zu philosophieren? Sicher wäre es ein erster Schritt, wenn Politik Verbote ausspricht. Aber ist das selbstverantwortliches Handeln? Außerdem fürchte ich, so ein Gesetz verbietet auch den Goldregen und die Pfennigschwärmer. Also wäre es möglicherweise angemessener, ich fange individuell an zu handeln.

Ich habe im Rahmen dieser Niederschrift beschlossenen, dieses Jahr wieder Pfennigschwärmer zu zünden und Goldregen, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht darf es ja sogar eine einfache kleine Sonne sein. Und ich werde den Müll nicht liegenlassen, sondern dahin bringen, wo er hingehört, in die Mülltonne. Und ja, ich werde mich auch an den tollen Feuerwerksbatterien meiner Umgebung erfreuen, mit ein bisschen Unwohlsein und in der Hoffnung, dass es uns gelingt, in den nächsten Jahren anstelle von optischem und lauten Luxus nach und nach die Freude am GEMEINSAMEN Abbrennen von bengalischem Feuer (wieder) zu entdecken – und mit „uns“ meine ich durchaus auch mich selbst. So eine Veränderung könnte einerseits unserem Bedürfnis nach feuer-basierten Übergangsritualen und unserer Lust auf Schönes entgegenkommen, und es würde wohl gleichzeitig mehr auf die innere Freude hinauslaufen als auf das äußerlich bombastische.

Meine ambivalenten Gefühle signalisieren, dass dies ein guter Kompromiss und vielleicht mit etwas Glück ein angemessener erster Schritt im Handeln sei. Und sie sagen auch, dass der Abschied vom Luxus der vielen bombastischen Feuerwerke nicht leicht ist und dass sie da etwas vermissen werden. Aber sie wollen es gemeinsam mit mir versuchen.

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