„Roaring Twenties“ oder „verlorenes Jahrzehnt“?
Diese Tendenz zeige sich durchaus auch in positiven Marktphasen: So sei beispielsweise zum Ende des Jahres 2020 eine neue Version der „Roaring Twenties“ ausgerufen worden – beflügelt durch den überstandenen COVID-Schock. Von dieser positiven Vision scheine heute allerdings nichts mehr übrig zu sein. „In der Tat kam die Wirtschaft nach COVID wieder dynamisch in Gang, zwischen dem Tiefpunkt des Jahres 2020 und dem Jahresende 2021 verdoppelten sich die weltweiten Aktienkurse“, erläutert Grüner. „In der Folge trübten jedoch Lieferkettenengpässe, Inflationsängste und Zinserhöhungen der Fed die Stimmung kräftig ein.“ Steigende Ölpreise, der Russland-Ukraine-Krieg und weitreichende Rezessionsängste hätten der Marktstimmung den Rest gegeben, die globalen Aktienkurse seien im Börsenjahr 2022 eingeknickt. Die pessimistische Stimmung sei zurück, und mit ihr die Unkenrufe nach einem verlorenen Jahrzehnt.
Cool bleiben
„Für Anleger ist es aus unserer Sicht nicht ratsam, sich diesem stetigen Wechselspiel der Gefühle hinzugeben“, sagt Grüner. „Grundsätzlich macht es keinen Sinn, in Dekaden zu denken – die Länge der Bullen- und Bärenmärkte ist variabel. Vielleicht werden wir in sieben Jahren, wenn die 2020er Jahre zu Ende gehen, auf ein Jahrzehnt mit hohen Renditen zurückblicken, welches den Hype um die ‚Roaring Twenties‘ doch rechtfertigt.“ Aber der Weg dorthin werde nicht geradlinig verlaufen, wie das Jahr 2022 bereits bewiesen habe. Und wenn die Bilanz des Jahrzehnts am Ende relativ ausgeglichen ausfalle, sei dies wahrscheinlich das Ergebnis vieler Höhen und Tiefen auf dem Weg dorthin.
Der Marktzyklus zählt
Statt in Jahrzehnten zu denken, sei es wichtiger, den übergeordneten Marktzyklus zu beachten und eine rationale Standortbestimmung durchzuführen. Wohlwissend, dass es selbst in sehr guten langfristigen Zeiträumen gewisse Phasen mit beängstigenden Marktrückgängen zu überstehen gelte. Es komme also im Grunde auf eine vernünftige Erwartungshaltung an: „Aktienmärkte sind fähig, hohe langfristige Renditen anzubieten“, sagt Grüner. „Allerdings wird es gute und schlechte Jahre geben, diese werden sich zu wunderbaren, mittelmäßigen und manchmal sogar enttäuschenden Jahrzehnten zusammensetzen.“ Entscheidend sei, dass wahrscheinlich niemand diese im Voraus exakt erkennen werde. Zu Beginn der 2000er Jahre ehätten viele Anleger einen „ewigen Boom“ erwartet. Zehn Jahre später sei die Angst vor einem verlorenen Jahrzehnt dem längsten Bullenmarkt aller Zeiten vorausgegangen. Und für die 20er Jahre sei bereits die volle Bandbreite der möglichen Prognosen ausgereizt worden. Hilfreich sei dieses Gerede für Anleger nicht.
Fazit
„Langfristige Prognosen stellen keine belastbare Analyse dar, sie sind vielmehr eine Momentaufnahme der Anlegerstimmung“, resümiert Grüner. „Diese wiederum wird von Ereignissen der jüngsten Vergangenheit beeinflusst und rückwärtsgerichtete Bestandsaufnahmen sagen bekanntlich nichts über zukünftige Chancen aus.
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